Gestern musste ich folgenden Satz in der Financial Times Deutschland zweimal lesen: „Weil das Unternehmen im Gegensatz zur Konkurrenz auch in Europa produziere, sei es von Lohnsteigerungen in Asien und höheren Logistikkosten weniger betroffen.“ Zitiert wurden Analysten von Goldman Sachs und gemeint war die spanische Textilkette Zara.
Höhere Lohnkosten in Europa als Wettbewerbsvorteil? Logik oder Widerspruch?
Zaras Wettbewerbs-Strategie lautet: Schnelle Anpassung des Sortiments an sich ändernde Kundenwünsche. Was bedeutet diese Strategie für die Ausrichtung der Geschäftsprozesse?
- Hohe Bestände stehen hoher Reaktionsgeschwindigkeit entgegen. Wer möchte noch die vorletzte Mode kaufen? Beim Wechsel der Kollektion wird der Vorgänger zum Ladenhüter, der nur noch mit Abschlag verkauft werden kann.
- Je niedriger die Bestände, desto zuverlässiger muss die Lieferkette funktionieren. Volle Lager können Streiks, Erdbeben und Piraten ab puffern. Schlanke Warenflüsse hingegen nicht. Deshalb werden bei Zara ein großer Teil der Vorprodukte in Europa gefertigt. Dies reduziert zwar Lieferzeiten und die Anfälligkeit gegenüber globalen Logistikschwierigkeiten – erhöht aber die Lohnkosten.
- An erster Stelle steht bei Zara die Reaktionsgeschwindigkeit von Design und Produktion. Diesem Ziel müssen sich sämtliche Prozesse unterordnen, auch zum Preis höherer Lohn- und Einkaufskosten.
Konkurrenten wie H&M – deren Wettbewerbsvorteil zum großen Teil auf den günstigen Einkauf aus Asien beruht – sind anfälliger. Die Menschen in China, Indien und Vietnam streben nach unseren Einkünften, d.h. die Wahrscheinlichkeit von deutlichen Lohnsteigerungen ist sehr hoch. Darauf kann man entweder seine Fertigung und Lieferanten in neue Billig-Lohn-Länder verlagern oder man muss seine Preise anpassen. Letzteres akzeptieren die Kunden nur selten, da sie an das niedrige Preisniveau gewöhnt wurden.
Zaras Strategie ist robuster. Entscheidendes Verkaufsargument ist nicht der Preis. Deshalb sind dann auch Preissteigerungen durch höhere Rohstoffkosten durchsetzbar. Aber vor allem hat Zara gelernt mit höheren Rohstoffpreisen und höheren Lohnkosten umzugehen. Diese Lektion müssen die Wettbewerber erst noch lernen.
Fazit: Die funktionalen Strategien von Marketing, Einkauf und Produktion müssen die Wettbewerbsstrategie des Unternehmens unterstützen. Agilität und Flexibilität erfordern eine andere Einkaufs- und Produktionsstrategie als „Geiz ist geil“.
Ressourcen:
Grant M. Robert (2010): Contemporary Strategy Analysis, 7th edition, John Wiley & Sons. S: 359-360. (Making Vertical Integration Work: Zara)
Hinze, Henning in Financial Times Deutschland vom 24.03.2011, S. 6: Zara federt hohen Baumwollpreis ab.